Arbeitszeugnis bald ohne Noten ? Eine Chance für individuelle Beurteilung (Folge 3)

Das Arbeitszeugnis könnte zukünftig aussagefähiger, individueller und damit besser werden, wenn Unternehmen ihre Mitarbeiter tatsächlich nicht mehr nach Noten beurteilen. Die Chance ist gegeben, die Umsetzung keinesfalls gesichert. Bisher obsiegte noch immer die Bürokratie mit ihren gepflegten Ritualen wie etwa dem fest eingetakteten Mitarbeitergespräch. Doch warum eigentlich, wenn die Wertschöpfung fraglich bleibt?

Ein wichtiger Grund dürfte in der relativen Einfachheit mechanistischer Ansätze liegen. Was man leicht befolgen kann, das macht zunächst keinen großen Aufwand und dient noch dazu als Absicherung des eigenen Handelns. Wer das jährliche Mitarbeitergespräch absolviert hat, macht den berühmten Haken in seiner Liste und kann sich seiner Pflichterfüllung sicher sein. Ob dieser Ansatz bei den Mitarbeitern etwas bewirkt? Fast zweitrangig, möchte man zynisch einwerfen, wenn der Compliance Genüge getan wird. Wird ein Zwischenzeugnis oder Endzeugnis beantragt, liegt jede zu wählende Formulierung fast schon in der Schublade. Wahrscheinlich hat diese Ritualisierung auch dazu geführt, dass in mancher Fachliteratur die Höchstlänge von 2,5 Seiten für ein Zeugnis gesetzt wird. Mit Verlaub, was für ein Unsinn!

Wenn nach SAP weitere Konzerne folgen, dann kommt auf Führungskräfte und auch Personalverantwortliche einiges zu. Definitiv wird die Beurteilung des Personals ausgewogener und fairer, wenn das Konzept der beschreibenden Beurteilung richtig angewendet wird. Aber dieser Prozess verlangt auch mehr Mitdenken, Flexibilität und schlichtweg Kompetenz. Er ist daher nicht so leicht zu beherrschen, und ein brauchbares Arbeitszeugnis in dieser Konstellation zu schreiben, wird nicht einfach.

Qualität und Qualifikation der Mitarbeiter soll im Gesamtbild gesehen werden

Umso mehr wird sich dieses Konzept für Arbeitnehmer lohnen, die eine faire und vor allem aussagefähige Beurteilung erwarten. Sie werden viel stärker im Gesamtbild ihrer Fähigkeiten, Neigungen und Leistungen gesehen. Für das Unternehmen bringt das nebenbei auch den Vorteil, dass es ein deutlich aussagkräftiges Bild über seine Mitarbeiter und ihre Einsatzmöglichkeiten erhält. Wo individuelle Aussagen vorherrschen, findet sich manche positive Kompetenz oder Verhaltensweise, die vielleicht auch an anderer Stelle im Unternehmen gesucht ist. Überhaupt könnte sich in diesen, neu gestalteten Beurteilungsberichten eine weitere Quelle auftun, aus der man die Datenbank über die Qualifikationen und Qualitäten der Mitarbeiter gehaltvoll speisen kann.

Der Ansatz von SAP verspricht also in vielerlei Hinsicht eine Verbesserung und sogar für die Qualität der Arbeitszeugnisse. Natürlich wird man als Vorgesetzter nicht gänzlich um die Vergabe von Noten umhinkommen, dies sei noch einmal gesagt. Nur aufgrund von prosaischen Einschätzung ein Arbeitszeugnis schreiben lassen, das wird nicht funktionieren. Auch SAP wird also mindestens einen wie auch immer gearteten, zusammenfassenden und klar einzuschätzenden Beurteilungsbericht als HR-Instrument behalten. Diese Beurteilung ist für den Zeugnisschreiber der Orientierungspunkt. Dass man dabei auch aus Formulierungen aus den Beurteilungsformularen zurückgreifen kann, sofern sie nicht mit dem Zeugnis-Geheimcode kollidieren, macht die Sache nur noch angenehmer für alle Beteiligten. Und ohnehin ist der Fundus an Formulierungen, selbst zur zusammenfassenden Leistungsbeurteilung, schon jetzt viel größer als gemeinhin angenommen. SAP dürfte zu dessen verstärkter Nutzung geradezu anregen.

Arbeitszeugnisse ohne Noten sind anspruchsvoller in der Erstellung

Gibt es also nur positive Effekte, sei es für den Menschen selbst, die Personalentwicklung oder eben das Arbeitszeugnis? Leider nein. Zu der bereits erwähnten höheren Anforderung an die beurteilenden Führungskräfte, steigt natürlich auch der Anspruch an die Zeugnisersteller. Sie müssen noch mehr mitdenken und dürfen keinen Fehler bei der Übertragung der vielen Anmerkungen aus den Bögen machen. Auch müssen sie ein großes Verständnis der Branchen und Funktionen haben, in denen der Zeugnisempfänger tätig war, denn sonst können sie womöglich nicht alle Angaben richtig deuten und vor allem das Arbeitszeugnis mit den richtigen Kernkompetenzen verfassen. Unser Fazit lautet dennoch: Es ist begrüßenswert und ein großer Gewinn, wenn Unternehmen anstatt auf reine Notenvergabe und starre Gesprächsrituale stärker auf Individualität setzen.