Arbeitszeugnis bald ohne Noten ? Wie eine Beurteilung aussehen kann (Folge 2)

Wenn Unternehmen ihren Mitarbeitern keine Noten mehr erteilen, wird eine Beurteilung nach klar einzuschätzenden Kategorien womöglich schwerer. Wie soll man gute von schlechten Mitarbeitern, die es fraglos auch im neuen System geben wird, unterscheiden? Und wie soll dann zukünftig ein Arbeitszeugnis aussehen?

Gute Arbeitszeugnisse müssen nach wie vor eine zusammenfassende Leistungsbeurteilung und eine ebensolche Verhaltensbeurteilung enthalten, hier gibt es noch keine anderslauten Gerichtsurteile. Aber davon abgesehen, sollten Zeugnisse ein umfassendes und detailliertes Bild des Beurteilten wiedergeben, nicht zwingend ein festes, nach Noten aufgeschlüsseltes Curriculum. Dieses Bild konnte man schon bisher kaum durch eine Aneinanderreihung von Musterformulierungen zeichnen, die dann womöglich noch per Generator zusammengeklickt  werden. Rechtssichere Arbeitszeugnisse wird man dergestalt definitiv bekommen, aussagekräftige und vor allem individuelle Beurteilungen eher nicht. Besonders qualifizierte Arbeitnehmer werden einen solchen Schrieb nicht hinnehmen, allen voran Geschäftsführer, Vorstände und weitere Führungskräfte, aber auch Projektleiter oder Fachexperten.

Ein aussagekräftiges Arbeitszeugnis braucht keine Notenkategorien

Es gilt also, ein ausgewogenes und auch beschreibendes Urteil in das Zeugnis zu transportieren beziehungsweise dort zu reflektieren. Wohlwollend sollten Arbeitszeugnisse qua Gesetz ohnehin sein. Dieses Gebot ist geradezu eine Einladung, auf Notenkategorien und deren mechanistische Umsetzung in festen Formeln zu verzichten. Je individueller ein Zeugnis, desto aussagekräftiger, so lautet die Faustregel und insbesondere in Arbeitszeugnissen für Führungskräfte.

Warum wird ein Text, der diesen Ansprüchen genügt, häufig von professionellen Zeugnis-Ghostwritern verfasst? Diesmal liegt die Antwort auf der Hand: Personalsachbearbeiter haben oft nicht die Zeit, sich intensiv mit einem Arbeitnehmer auseinanderzusetzen, um dann auch noch ein hochgradig individuelles, möglicherweise kompliziertes und langes Zeugnis zu schreiben.

Das bringt uns geradewegs zur Essenz eines großen Problems: Nur weil Arbeitnehmern bestimmte Noten erteilt werden, entstehen aus deren mechanistischer Übertragung in einzelne Mustersätze eben nicht automatisch brauchbare Arbeitszeugnisse. Man erhält, nahezu logisch, ein schematisch aufgebautes Stück Text, welches man sich mithilfe eines Zeugnisratgebers (Buch oder online) recht schnell erschließen kann. Aufgrund des Wohlwollen-Gebots wird es schlechte Zeugnisse nun aber äußerst selten geben. Ein Mitarbeiter, der in jeder Kategorie auf ‚sehr gut‘ steht, erhält ein Zeugnis wie weggelobt. Wohin tendiert also die Aussagekraft des ganzen Dokuments? Im Zweifel gegen null.

Eine neue Systematik der Beurteilung muss zum individuellen Bedarf passen

Wer mehr über eine Person erfahren möchte, muss schon auf ein Zeugnis hoffen, welches Kompetenz- und Leistungsmerkmale ebenso individuell und – wenn geboten – elaboriert darstellt wie besondere Erfolge oder Persönlichkeitsmerkmale. Der Weg, den SAP offensichtlich verfolgt, führt tatsächlich genau dorthin. Denn natürlich wird SAP nicht die Beurteilung der Mitarbeiter abschaffen. Geändert werden die Systematik und Rituale, weg von starren und technokratischen Einstufungen hin zu beschreibenden Aussagen.

Auch die vorgeschriebenen regelmäßigen Mitarbeitergespräche wären bei SAP laut Handelsblatt am liebsten Geschichte. Aber verzichtet SAP deshalb auf Mitarbeitergespräche komplett? Natürlich nicht. Jedoch sollen sie dann stattfinden, wenn es wirklich angebracht ist, Vorgesetzte etwa sollen Rückmeldung, Ermunterung, Kritik, etc. nach Bedarf geben und nicht nur weil ein bestimmtes Datum im Kalender steht. Es mag durchaus verwundern, dass diese Herangehensweise in der Konzernwelt offenbar als eine Revolution gesehen wird. Was jeder Fußballtrainer, jeder Lehrer und auch viele Führungskräfte mittelständischer Unternehmen praktizieren, was einem der gesunde Menschenverstand im Grunde sagt – nämlich Handeln nach konkretem Bedarf –, das wird in der Konzernwelt beileibe nicht als selbstverständlich angesehen.